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Bremer Konferenz zum 100. Geburtstag Adornos

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Tagungsbericht:
Gesellschaft im Widerspruch - Die Gesellschaftstheorie Theodor W. Adornos und ihr erfahrungstheoretischer Kern

Bremer Konferenz zum 100. Geburtstag Theodor W. Adornos 24./25.10.2003,
Tagungsbericht von Hanno Pahl und Christoph Engemann.

Siebzig TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland und teilweise sogar dem deutsprachigem Ausland hatten sich am 24.10.2003 zur Eröffnung der Konferenz „Gesellschaft im Widerspruch“ in Bremen eingefunden. In einer Einführung stellten die Veranstalter die Intentionen und inhaltlichen Schwerpunkte vor, die sich v.a. aus jenen Themen gespeist waren, die im Rahmen der zahlreichen anderen Veranstaltungen zum hundertsten Geburtstag Adornos vernachlässigt bzw. ignoriert wurden: Entgegen der allgemeinen Tendenz, Adorno vollends zum Klassiker der Soziologie zu erklären um damit gleichzeitig seine Bedeutung für aktuelle Diskurse stark zu relativieren oder gar zu negieren, sollte explizit die inhaltliche wie auch methodologische Relevanz, Aktualität und Anschlussfähigkeit seiner gesellschaftstheoretischen Arbeiten herausgestellt und diskutiert werden. Dem sollte auch die formale Struktur der Konferenz Rechnung tragen: eine Arbeitskonferenz mit ausgedehnten Möglichkeiten zur Diskussion statt staatstragender Feierlichkeiten.

Der anschließende Eröffnungsvortrag von Helmut Reichelt (Bremen) hatte den Objektivitätsbegriff der soziologiekritischen Spätschriften Adornos zum Thema. Wobei die These entfaltet wurde, nach der Adorno in der Ausarbeitung bzw. späten Präzisierung seines Gesellschaftsbegriffs auch die Perspektive für eine neue Aneignung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie eröffnet habe. Im Rahmen eines dem hegelschen Verfahren in der Phänomenologie des Geistes analogen doppelten Kritikbegriffs müsse es einerseits darum gehen, ausgehend von jener realen Abstraktion im Tausch die Kategorien der politischen Ökonomie als Formen realer gesellschaftlicher Einheit zu rekonstruieren. Zum zweiten ließen sich aus dieser Perspektive dann sowohl Soziologie wie Wirtschaftswissenschaften in ihren jeweiligen dichotomischen Gestalten (Mikro/ Makroökonomie, Handlungstheorie/ Funktionalismus) als Verarbeitungsweisen begreifen, in denen sich gesellschaftliche Objektivität zwar reflektiere, aber in der sie - in einem strengen Sinne - nicht begriffen werde. Im Anschluss an den Vortrag von Helmut Reichelt gab es eine ausführliche Diskussion.

Am Samstag Vormittag folgten mit den Beiträgen von Joachim Bruhn (Freiburg) und Michael Heinrich (Berlin) zwei Referate aufeinander, in denen inhaltlich zum Teil einander konträr entgegengesetzte Positionen vertreten wurden, was sich auch durch eine äußerst konträre Einschätzungen in den anschließenden Diskussionen unter Einbeziehung der wiederum zahlreich erschienen Zuhörer wiederspiegelte. Joachim Bruhn kritisierte vor allem die auch im kritischen Marxismus vorherrschende Tendenz, jenen neben der klassischen politischen Ökonomie und der hegelschen Dialektik dritten für das Marxsche Denken konstitutiven Strang - den utopischen, ´naturrechtlichen´ Arbeiterkommunismus und die dadurch implizierte Unbedingtheit des Kommunismus - eliminiert zu haben, was nicht zuletzt einer Eingliederung Marxens in das System bürgerlicher Einzelwissenschaften bzw. einer Positivierung seiner Kritik Vorschub geliefert hätte. Hiervon ausgehend stellte Joachim Bruhn den Sinn jeglicher ´positiver´ Fortführung bzw. Weiterführung/Korrektur der Kritik der politischen Ökonomie - z.B. als ´Wirtschaftswissenschaft´ - grundsätzlich in Frage und untermauerte dies u.a. durch Hinweis auf den Begriff des Wertes bei Marx, der nicht zuvorderst der ökonomischen Denktradition entstamme, sondern von Anfang an bei Marx als Prinzip gesellschaftlicher Synthesis aufgefasst wurde.

Michael Heinrich versuchte im Anschluss zunächst, sich u.a. durch Hinweise auf die konstitutiven Differenzen zwischen einer positiven Wissenschaft im Marxschen Sinne und ´bürgerlicher´ Wirtschaftswissenschaft gegen die Vorwürfe Joachim Bruhns zu rechtfertigen. In einem zweiten Teil stellte er zentrale Aspekte des Zusammenhangs der drei Bände des ´Kapital´ dar, um hieran sowohl die Notwendigkeit einer Kritik traditioneller Kapital-Lesarten zu verdeutlichen als auch auf Probleme der Marxschen Darstellung selbst hinzuweisen.

Nach den Vorträgen am Freitag Abend und Samstag morgen, war der fanden am Samstag Nachmittag und Abend vertiefende Arbeitsgruppen statt. Den Anfang bildete eine Arbeitsgruppe von Michael Heinrich, in der - anschließend an seine im Vortrag entfalteten Thesen der Notwendigkeit einer Reformulierung der Marxschen Werttheorie als monetärer Werttheorie - die sich daraus ergebenden Konsequenzen hinsichtlich der Marxschen Kredit- und Krisentheorie erläutert und diskutiert wurden. Parallel dazu fand eine Arbeitsgruppe von Lars Meyer (Bremen) und Hanno Pahl (Bielefeld) statt. Dort ging es um den Zusammenhang der Erfahrung von gesellschaftlicher Objektivität und soziologischer Theoriekonstruktion. In einem längeren Einleitungsreferat von Lars Meyer sowohl der Erfahrungsbegriff Adornos rekonstruiert wie in einem zweiten Teil dann hiervon ausgehend Adornos Perspektive auf eine Theorie der Gesellschaft dargelegt: Wie hängen Erfahrung der Gesellschaft, theoretische Präformiertheit und begrifflich-systematische Organisation der Erfahrung dieser Gesellschaft zusammen? Hanno Pahl hat daran anschließend an einem der modernen soziologischen Theorie entnommenen Beispiel - dem Wandel des Theorems der funktionalen Differenzierung von Talcott Parsons hin zu Niklas Luhmann - die Aktualität der Adornoschen Kritik soziologischer Theoriebildung demonstriert.

Den letzten Veranstaltungsblock bildeten die parallelen Workshops von Christine Kirchhoff (Bremen) über ´Das Subjektive in der Theorie´ sowie von Andreas Harms (Berlin) und Christoph Engemann (Bremen) über das Verhältnis von Warenförmigkeit und Rechtsförmigkeit sowie zur Aktualität der These der Verwalteten Welt. Harm stellte zunächst Eckdaten zum Leben und Wirken des marxistischen Rechtstheoretikers Paschukanis vor, um im weiteren Referat dessen werttheoriegeleitete Rechtskonzeption näher zu erläutern. Christoph Engemann stellte den Wandel bürokratischer Organisationsmethoden seit Adornos Wirken dar. Anhand der Kontrastierung der Positionen von Individuum und Organisation in klassischer und moderner Bürokratie, wurde erläutert inwiefern Adornos These der verwalteten Welt, noch heute Bestand hat.


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